Acinetobacter und Endoskopie
Einführung
Wenn Sie hygienisch-mikrobiologische Beprobungen Ihrer Endoskope durchführen, dann ist Ihnen wahrscheinlich Acinetobacter bekannt. Acinetobacter ist zwar nicht so bekannt wie Escherichia, Klebsiella oder Pseudomonas, hat aber seit seiner Entdeckung natürliche Flächen in der Umgebung des Menschen besiedelt und ist immer weiter vorgedrungen. Ursprünglich war das Bakterium ein relativ harmloser Bewohner des Waldbodens, der altes Laub zersetzte. Es hat sich jedoch an eine offene ökologische Nische in unseren medizinischen Einrichtungen angepasst, die es perfekt ausfüllt und so sogar eine Gefahr für die Sicherheit unserer Patienten darstellen kann. Dieser Artikel erörtert aus der Sicht der Mikrobiologie und im Kontext der Wiederaufbereitung der klinischen Endoskope die Herkunft von Acinetobacter, wie das Bakterium in unsere medizinischen Einrichtungen gelangte und wie wir seine Präsenz verstehen müssen.
Mikrobiologischer Hintergrund
Acinetobacter wurde 1911 erstmals durch Beijerinck identifiziert, erhielt damals allerdings den Namen Micrococcus calcoaceticus [1].1954 wurde dann die Gattung Acinetobacter definiert und durchlief seitdem zahlreiche taxonomische Veränderungen [2]. Heute existieren über 30 Arten dieser Gattung; aufgrund ihrer inhärenten Fähigkeit, ihren Phänotyp an die Umgebung anzupassen, kann eine exakte Identifikation der Arten ohne empfindliche Gentests schwierig sein. Die Gattung Acinetobacter umfasst viele verschiedene genetische Stämme, so dass eine Identifikation allein mithilfe der Mikroskopie oder Chemotaxis (Verfahren, um Eigenschaften von Bakterien auf chemische Substanzen zu untersuchen) nicht zu empfehlen ist, da viele Stämme damit nicht zu unterscheiden sind [3].
Alle Acinetobacter-Arten sind gram-negativ, zeigen je nach Wachstumsphase eine kugel- oder eiförmige Morphologie und lassen sich leicht auf üblichem Agarmedium kultivieren. Ihre Bezeichnung stammt aus dem Griechischen und geht auf ihre ungewöhnliche zuckende Bewegung zurück, auch wenn die Gattung als unbeweglich beschrieben wird [2][3].
Auch wenn Acinetobacter spp. in vielen Umgebungen vorkommt, findet sich das Bakterium am häufigsten im Erdboden als natürlicher Lebensraum [4]. Es gibt jedoch einige Arten, die als vorübergehende Kommensalen (Interaktion zwischen 2 verschiedenen Arten) für das Mikrobiom betrachtet werden und sogar zur Entwicklung des Immunsystems des menschlichen Wirts beitragen, beispielsweise A. lwoffii und A. johnsonii [5][6]. Einige Arten dieser Gattung hatten ausreichend Zeit und das Umfeld, zusammen mit dem Menschen und unserem Immunsystem eine symbiotische Beziehung zu entwickeln; es gibt jedoch auch Arten, die von Natur aus opportunistische Krankheitserreger sind, beispielsweise A. nosocomialis, A. haemolyticus, A. pittii und A. baumannii; sie sind nur selten Teil des menschlichen Mikrobioms und ihre natürlichen Reservoirs befinden sich außerhalb des biologischen Systems des Menschen, auch wenn sie häufig in der Nähe des Menschen gefunden werden [7].
Ausbreitung in der Umwelt
Da Acinetobacter weltweit ubiquitär vorkommt, werden verschiedene Ausbreitungsmuster und Ausbreitungsvektoren angenommen. Dazu wurde eine eingehende Analyse von A. baumannii durchgeführt, der als opportunistischer Erreger für HAI ausgewählt wurde, weltweit verbreitet ist und nicht zum angeborenen menschlichen Mikrobiom gehört. Die Studie ergab, dass diese Art oft Aerosole und Pilzsporen als Transportmittel nutzt. Die Art ist so gut an den Lufttransport angepasst, dass sie sogar auf übliche Vektoren wie Insekten, Gliederfüßler und andere Wasserorganismen verzichtet, auch wenn sie dort auffindbar ist. Aufgrund der starken Verbreitung in der Atmosphäre wurden große Zellzahlen von A. baumannii selbst in entfernten Gletschern isoliert und können häufig im Regenwasser gefunden werden. Trotzdem stellte die Studie fest, dass diese Art am häufigsten in der direkten Umgebung des Menschen gefunden wird [7]. Eine separate Genanalyse von A. baumannii ergab außerdem eine hohe Prävalenz in direkter Umgebung des Menschen, insbesondere auf Krankenhausoberflächen und in der Luft sowie auf der Haut von Klinikmitarbeitern und Patienten [4].
Kolonisierung im Krankenhaus
Acinetobacter besitzt bemerkenswerte Fähigkeiten, in verschiedenen extremen Umgebungen - von hoher Luftfeuchtigkeit bis hin zu hoher Trockenheit - längere Zeit zu überleben. Außerdem besitzt der Erreger bemerkenswerte Schutzmechanismen gegen Strahlung, die sich durch den Transport auf Pilzsporen in der oberen Atmosphäre entwickelt haben, wo sie starker Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind. Aufgrund dieser Kombination ist Acinetobacter (siehe [7]), insbesondere perfekt in der Lage, ungenutzte Habitatnischen zu besiedeln: in medizinischen Einrichtungen, deren Umgebungsbedingungen oft einen Mangel an frei verfügbarem Wasser aufweisen und in denen Strahlung zur Desinfektion genutzt wird.
Acinetobacter kann sich nicht nur an extreme Oberflächenbedingungen anpassen, sondern hat auch in großem Umfang die erforderlichen Gene erworben, um auf der menschlichen Haut zu haften und zu einem kommensalen Teil des Haut-Mikrobioms zu werden. Besonders häufig ist dies bei Krankenhausmitarbeitern und Patienten mit längeren Krankenhausaufenthalten festzustellen, seltener bei Menschen, die Krankenhäuser weniger häufig aufsuchen. Die vielseitigen Fähigkeiten von Acinetobacter, auf jeder Oberfläche und jedem Wirt im Krankenhausumfeld zu haften, und seine Verbreitung über die Luft eröffnen dem Erreger zahlreiche Möglichkeiten, sich in Krankenhaussystemen zu verbreiten.
Schutzmechanismen auf molekularer Ebene
Ein weiterer Vorteil einiger Arten von Acinetobacter sind die genetischen Virulenzfaktoren. Insbesondere bei A. baumannii sind mindestens 6 bekannte genetische Bereiche mit Virulenzfaktoren für Biofilmbildung, Resistenz gegen Antibiotika sowie Desinfektions- und Reinigungsmittel sowie weitere infektionsfördernde Faktoren bekannt [8 -10]. Fast alle Arten von Acinetobacter können Biofilme erzeugen, am stärksten ausgeprägt ist diese Fähigkeit auch hier wieder bei A. baumannii. Infolgedessen wurden von Acinetobacter gebildete Biofilme auf Krankenhausoberflächen und medizinischen Geräten beschrieben. Dies ist darauf zurückzuführen, dass A. baumannii Gene zur Bildung von Biofilmen entwickelt hat, die gegen Antibiotika, Desinfektionsmittel und Trocknung besonders unempfindlich sind. Aufgrund dieser Kombination von Resistenzen und genetischen Vorteilen ist insbesondere A. baumannii dafür prädestiniert, sich auch unter strengsten Desinfektionsbedingungen in Krankenhäusern auszubreiten [11].
Klinische Relevanz
Von besonderer klinischer Relevanz ist das Auftreten von A. baumannii, A. nosocomialis und A. pittii. Dies sind zwar drei verschiedene Arten, ihre Genome ähneln sich jedoch bemerkenswert, sodass es schwierig ist, sie zu unterscheiden. A. baumannii war und ist die klinisch wichtigste Art von Acinetobacter, deren Belastung in den USA seit 2019 stetig zunimmt, sowohl aufgrund ihrer Fähigkeit, ihr Infektionspotenzial anzupassen, als auch aufgrund ihrer Fähigkeit zur Ausbildung von Mehrfachresistenzen (MDR) [12]. Die Morbidität aufgrund von Blutstrominfektionen mit A. baumannii kann aktuell recht hoch sein, bei einigen Ausbrüchen bis zu 58 %. Die anderen genannten Arten von Acinetobacter mögen zwar opportunistische pathogene Erreger für Personen mit stark geschwächtem Immunsystem sein, es gibt jedoch nur wenige medizinische Berichte und kaum Morbidität im Vergleich mit A. baumannii. Die Fähigkeit von Acinetobacter zum horizontalen Gentransfer erleichtert es dieser Gattung, MDR-Gene zu nutzen oder zu entwickeln, was ihm eine größere Bekanntheit als HAI-Erreger verschaffte. Da die in der Umwelt vorhandenen Stämme nach diesem Schema leicht opportunistisch zum Parasitismus übergehen, wäre die Umweltüberwachung der eigenen Einrichtung die einzige Möglichkeit, genau zu erkennen, ob solche MDR-Bedrohungen derzeit existieren.
Beziehung zur Endoskopie
Aus der gastrointestinalen Endoskopie wurde selten über Infektionen mit Acinetobacter berichtet, sie sind jedoch möglich und treten in der Regel nach Eingriffen an immungeschwächten Patienten auf. Eine Recherche der Fachliteratur ergab, dass Pseudomonas aeruginosa weiterhin die Hauptursache für Infektionen nach Eingriffen und insbesondere für MDR-Ausbrüche verantwortlich ist. Interessanterweise wurde Acinetobacter oft in klinischen Proben gefunden,war jedoch nicht für die Infektion verantwortlich [13][14]. Dies dürfte auf die Neigung von Acinetobacter zurückzuführen sein, Biofilme auszubilden, die möglicherweise von pathogeneren Bakterienstämmen genutzt werden. Besorgniserregender ist das Vorkommen von Acinetobacter im Bereich der Bronchoskopie bzw. Zystoskopie, da die Infektionsraten mit Acinetobacter nach diesen Eingriffen höher sind. Unabhängig davon hat sich jedoch A. baumannii schnell zu einem der weltweit wichtigsten HAI-Risiken entwickelt und sogar die WHO veranlasst, Maßnahmen zur Entwicklung neuer Medikamente einzuleiten, die gegen Carbapenem-resistente Stämme wirken [15].
Interpretation der mikrobiellen Überwachungsergebnisse
Nach unserem Verständnis stammt Acinetobacter vor allem aus der Umwelt und findet sich in vielen Bodenarten sowie in der Luft. Damit besteht die Möglichkeit, dass Acinetobacter versehentlich als Umweltkontamination in der Endoskopprobe gefunden wird. Wie bereits erwähnt, kann Acinetobacter in größeren Mengen in Kulturproben gefunden werden, wenn die Probennahme an regnerischen oder feuchten Tagen in weniger kontrollierten Krankenhausräumen erfolgt. Dies könnte ein Hinweis auf schlechte Belüftung sein. Acinetobacter kann auch über die Bekleidung des Probenehmers in Endoskopproben gelangen, wenn die Mitarbeiter keine angemessene Schutzkleidung tragen. Acinetobacter hat sich auch zu einem Hautorganismus insbesondere in Krankenhausumgebungen entwickelt, wenn die Mitarbeiter die Protokolle zur Handhygiene nicht genau einhalten.
Schlussfolgerung
Das Verständnis von Acinetobacter, seiner Verbreitung in der Umwelt und seiner Anpassung an klinische Umgebungen ist zur Interpretation der Ergebnisse der mikrobiellen Überwachung im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung. Acinetobacter, insbesondere Arten wie A. baumannii, A. nosocomialis und A. pittii, sind zwar nicht so gefürchtet wie andere in Krankenhäusern auftretende Erreger, stellen aber aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit und ihrer Fähigkeit, unter schwierigen Bedingungen zu überleben und Multiresistenzen zu entwickeln, ein erhebliches Risiko dar. Die Tatsache, dass Acinetobacter in klinischen Bereichen vorgefunden wird, insbesondere im Zusammenhang mit der Endoskopie, verdeutlicht, wie wichtig es ist, zwischen einer Kontamination durch aus der Umwelt stammende, nicht-pathogene Arten und durch von Patienten stammende Arten zu unterscheiden. Angesichts des Trends zur verstärkten Expression von MDR-Genen und zur Biofilmbildung bei einigen Acinetobacter spp. ist beim Nachweis von Umweltisolaten jedoch Vorsicht geboten. Durch eine verstärkte Umweltüberwachung und ein besseres Verständnis der gefundenen Arten können Gesundheitseinrichtungen die potenziellen Risiken durch dieses resiliente Bakterium besser in den Griff bekommen und somit eine verbesserte Patientensicherheit und Infektionskontrolle gewährleisten.
Quellen und weiterführende Literatur
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